Die folgenden Wochen

Ich mache einen Arzttermin aus, denn ich bin definitive nicht arbeitsfähig und brauche eine Krankschreibung. Mein Vater ist geschäftlich unterwegs, meine Mutter hat kein Auto und ich will sowieso unbedingt die 500 Meter zur Arztpraxis laufen. Denn ich kann noch laufen! Ich hatte sehr groβes Glück, dass die Entzündungsherde -obwohl sie sich teilweise über mehrere Wirbel hinweg erstrecken- in meinem Rückenmark nur die Sensorik und nicht die Motorik betroffen haben. Das kann beim nächsten Schub natürlich ganz anders aussehen! Ich plane gleich mal eine Stunde für den Weg ein, denn ich weiβ ja, dass ich -obwohl ich ohnehin sehr langsam unterwegs bin- immer wieder anhalten werde und eine Pause brauche. Beim Allgemeinarzt angekommen, gebe ich der Arzthelferin den Arztbrief aus der Klinik und ruhe ich mich erst mal aus. Ich fühle mich, als wäre ich Jahrzehnte gealtert und werde vorausschauend gleich drei Wochen krankgeschrieben. Drei Wochen am Stück! Ich war noch nie so lange krank. Ich muss anscheinend wirklich sehr krank sein! Warum ist die Welt plötzlich so komisch geworden? Ich will doch arbeiten können. Ich will nicht daheim rumsitzen. Mein Arbeitgeber will das bestimmt auch, da wären wir uns sicherlich einig. Aber warum geht das jetzt nicht?

Ich wage den Heimweg. Meine Mutter begleitet mich und als wir daheim ankommen, brauche ich wieder ein stundenlanges Nickerchen. Ich mache nun jeden Tag einen Spaziergang. Fange mit sehr kleinen Strecken an, und steigere mich Schritt für Schritt. Ich bin jedesmal danach erschöpft, aber es geht im Laufe der Zeit besser und meine Nickerchen werden kürzer.

Ich weiβ, dass ich noch einmal ins MRT muss, denn man hatte in der Klinik nur notfallmäβig das Rückenmark untersucht. Und nun braucht es noch Aufnahmen vom Hirn. Auβerdem solle ich mir einen Neurologen suchen, unter dessen Aufsicht ich nun eine lebenslange medikamentöse Therapie starten darf. Für den Beginn einer ersten Langzeit-Therapie dürfe ich aber auch gerne noch in die Klinikambulanz kommen. Also mache ich Termine aus und organisiere mir Fahrer zu den Praxen. Meine Hirnscans zeigen ein paar Stellen, die als altersgerechte Durchblutungsstörungen durchgehen könnten. Oder je nach Interpretation eben auch auf eine chronisch neurodegenerative Erkrankung hindeuten könnten. Diese Aufnahmen sind nicht während des akuten Schubs entstanden (im Gegensatz zu den Rückenmarksaufnahmen) und zeigen daher keine Hinweise für akutes Krankheitsgeschehen im Hirn.

Ich befinde mich immer noch in den Wochen, in denen ich krankgeschrieben bin und stelle eines morgens plötzlich fest, dass mein hormoneller Rhythmus durch die Stoβtherapie stark aus den Fugen geraten zu sein scheint. Meine Periode kam mit deutlicher Abweichung vom geplanten Termin und auch ziemlich heftig. Auch darauf hätte man mich gerne vorbereiten können. Wissen Ärzte so etwas nicht, oder warum verschweigen sie das Ihren Patientinnen?

Ich mache mich jeden Tag auf eine kleine Weltreise. Eine, die distanzmäβig wirklich recht klein ist, aber meinen Körper doch recht viel fordert. Zunächst laufe ich ein paar hundert Meter um den kleinen Häuserblock und merke, dass es mit der Zeit immer besser geht. Nach zwei Monaten jogge ich sogar wieder eine kleine Strecke durch den Wald – wenn auch nur langsam und und im Wechsel mit Gehen. Partner, Freunde und Familie begleiten mich hin und wieder auf meinen Wegen und ich bin sehr dankbar dafür.

Wenige Zeit nach dem Klinikaufenthalt werde ich erneut krank und habe tatsächlich einen heftigen grippalen Infekt. Auch dies ist eine mögliche Nebenwirkung von so hoch dosierten Cortisol-Derivaten, denn sie drosseln das Immunsystem und machen den Körper daher anfälliger für Infekte. Fühle mich dadurch natürlich nicht besonders gut. Weiβ aber, dass der Infekt in ein paar Tagen überstanden ist und schone mich daher ein wenig.

Weiterlesen