Am nächsten Tag ruft mich meine Mutter an. Sie ist schon seit ein paar Tagen bei ihrer Mutter, der es nicht so gut geht und wollte nun wissen, was mit mir nicht stimme. Ich frage noch, ob sie das jetzt wirklich am Telefon wissen will, aber sie lässt nicht locker. Also spreche ich es aus und bekomme Schluchzen als Antwort. Ich überlege immer noch, ob ich nicht auch mal eine Träne vergieβen sollte, aber es will einfach keine rollen. Ich bin am Leben -im Gegensatz zu Patrick- und kann mich noch weiterhin bewegen. Ich sitze noch nicht im Rollstuhl und habe eine (vorerst) schubförmige Krankheit, so dass eine Besserung der Symptome zu erwarten ist.
Auch mit meinem entfernt lebenden Freund telefoniere ich schlieβlich einige Zeit. Bin nicht sicher, wie er sich seine -oder besser gesagt unsere– Zukunft vorgestellt hatte. Wir sind erst seit kurzem zusammen, obwohl wir uns schon eine ganze Weile kennen. Er denkt zunächst, dass ich bald wieder gesund werde, dass ich eine Art Bandscheibenvorfall hätte, der für die Taubheitsgefühle verantwortlich wäre. Als ich ihm die vorläufige Diagnose mitteile erwartet mich Schweigen. Es ist still am anderen Ende der Leitung, mein Partner ist geschockt. Schlieβlich spreche ich es aus, gebe ihm jetzt die Chance seine funktionierenden Beine in die Hand zu nehmen und davonzurennen! Und kann es gar nicht fassen, als er dies wehement ablehnt. Ich hatte gehofft, dass er mich nicht verlässt. Hätte es aber weniger ertragen, wenn er aus Mitleid mit mir zusammengeblieben wäre. Wir sind inzwischen glücklich verheiratet.
Dennoch weiβ ich nicht, was mich in Zukunft erwarten wird. Ich bin sechs Tage in der Klinik, bevor man mich entlässt. Jeden Tag werde ich mit ultrahohen Dosen Cortisol-Derivat vollgepumpt. Jeden Tag schmecke ich diese Bitterkeit für eine Weile und jeden Tag frage ich mich, wie meine Zukunft aussehen mag. Ich gebe nun auch meinen Freunden Bescheid, bekomme Anrufe und Besuche. Klar können sie nichts an meiner Erkrankung ändern, aber es ist schön, sie um mich zu haben und mit ihnen zu reden. Die kleine Tochter meiner besten Freundin leiht mir sogar ihren portablen DVD-Player mitsamt Lieblings-DVD aus und so darf ich mir die Zeit in der Klinik mit der Eiskönigin vertreiben.