Daher räume ich mir selber etwas Bedenkzeit ein, recherchiere im Internet, lese Bücher und wissenschaftliche Literatur. Ich besuche sogar eine öffentliche Infoveranstaltung in einer anderen Klinik. Es ist Samstagvormittag und ich bin gespannt, welche Infos ich erhalten werde. Ich betrete schlieβlich die Klinik und laufe den Gang entlang, um zu dem Raum zu gelangen, in dem mich die neuesten Informationen erwarten. Vor diesem Raum sind einige Stände aufgebaut, an denen für verschiedene MS-Medikamente geworben wird. Es sind also Pharmavertreter, die Broschüren, Kugelschreiber, USB-Sticks and anderen Krimskrams mit ihrem Firmenlogo unter die MS-Patienten bringen wollen und sich als kompetente Krankheitsbegleiter anpreisen. Das hätte ich nun wirklich nicht erwartet! Ich setze mich in den kleinen Hörsaal, der sich nach und nach füllt und bin gespannt, was mich nun erwarten wird. Der Arzt zeigt Listen der MS-Medikamente und in welcher Phase der Erkrankung man welches Medikament anwenden sollte. Angefangen von der Basistherapie bis zur Immunsuppression mit Chemotherapeutika. Und auch wenn diese Veranstaltung nicht als solche angepriesen wurde, empfand ich sie doch in gewisser Weise als Werbeveranstaltung für die Medikamente und weniger als hilfreiche Anlaufstelle für den Patienten zum Umgang mit seiner Krankheit. Aber klar, die Schulmedizin richtet sich eben hauptsächlich nach verfügbaren MS-Medikamenten. Und da gibt es häufig leider kein Hinausschauen über den Tellerrand. Vermutlich werden solche Infoveranstaltungen nur angeboten, da es eben Sponsoren gibt – nämlich seitens der Pharmaindustrie. Und das, obwohl Sie als Patient eigentlich auch ohne Sponsoring solche Informationen von Ihrem Arzt erhalten sollten! Da fragt sich natürlich auch, wie krank denn unser Gesundheitssystem ist!
Daheim angekommen schaue ich mir Broschüren über meine angebliche Krankheit an, die mir die Pharmavertreter gegeben hatten. In einer Broschüre wird einem Kind in einem Comic beschrieben, dass die Mama hin und wieder mal etwas fallen lässt, weil böse Antikörper die Nervenzellen zerstören. Dem Kind wird suggeriert, dass es nachsichtig mit der Mama sein soll. Ein Rollstuhl ist nicht zu sehen; über Blasen-, Darm-, Schluck-, Sprach-, Seh- und sexuellen Funktionsstörungen, Fatigue, Empfindungsstörungen, Depressionen, Muskelsteife, kognitiven Störungen und Nervenschmerzen wird kein Wort verloren und ich denke mir: Na, wenn es nur dabeibleibt, hin und wieder etwas fallen zu lassen, dann sind die Aussichten ja nicht so schlecht! Dass es bei Entzündungen der Nerven für Herz- und Lungenimpulse sogar noch schlimmer ausgehen könnte, passt ebenfalls nicht in dieses farbenfrohe Comic! Warum also mache ich mir Sorgen über eine düstere Zukunft?
Es ist wichtig, dass Sie sich mit Ihrem Körper und Ihrer Krankheit befassen. Lassen Sie sich nicht unterkriegen und vor allem: Geben Sie die Verantwortung über Ihren Körper nicht komplett auf! Die Schulmedizin weiβ viel, aber eben nicht alles. Und besonders bei Erkrankungen, bei denen die Ursache bisher nicht identifiziert werden konnte, ist eine gewisse Vorsicht angebracht! Informieren Sie sich auch nach alternativen Unterstützungsmethoden – unabhängig davon, ob Sie schulmedizinisch betreut werden oder nicht! Es geht um Ihr Leben und Ihr Wohlbefinden!
Aber wer weiβ schon, wie weit die Krankheit voranschreitet? Niemand gibt mir eine klare Antwort. Klar, wie will man eine Krankheit treffend beschreiben, die als “die Krankheit mit den 1000 Gesichtern” bekannt ist und bei jedem anders verläuft? 1 von 1000 Gesichtern ist meines. Es kann ganz schlimm werden, oder eben auch nicht. Ich für meinen Teil weiβ, dass ich die vergangenen Wochen schlimm fand. Bei weitem nicht so schlimm, wie den Tod meines engen Freundes, aber eben doch sehr weit weg von einfach.
Im Nachhinein betrachtet, würde ich schwer davon ausgehen, dass der plötzliche Tod meines Freundes der Auslöser für diesen heftigen Schub war, was mich zu einem späteren Zeitpunkt dazu bringen wird, mir über die Wichtigkeit einiger Dinge im Leben klar zu werden und mir über verschiedene Entspannungstechniken Gedanken zu machen.
Ich besuche meinen Neurologen, der mich wieder an die Klinikambulanz verweist. Man hat ja sonst nichts zu tun, als von Arzt zu Arzt zu rennen. Wenn ich dafür Geld bekommen würde, könnte ich mir auf diese Weise sicherlich gut ein kleines Vermögen erwirtschaften. Aber wie sich herausstellt, befinde ich mich dafür auf der falschen Seite der Nahrungskette. Und so finde ich mich schlieβlich wieder in der neurologischen Ambulanz ein. An diesem Tag ist glücklicherweise eine -aus meiner Sicht- kompetentere Ärztin für mich da, als derjenige, der mir wenige Monate zuvor zu einer Schwangerschaft als Supertherapie geraten hatte. Ich wies Sie kurz auf die seltsamen Ratschläge hin und mir wurde versichert, dass der Fleischkonsum doch keinen Effekt aufs Krankheitsgeschehen hätte und auch die Vitamin D-Gabe keine nachweislich gesicherte Wirkung zeigen würde. Im Klartext: Niemand weiβ so recht, wie man das Krankheitsgeschehen positive beeinflussen kann und selbst die Ratschläge von vor ein paar Monaten werden revidiert.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir uns im Jahre 2016 befinden und nach wie vor niemand die Ursache für diese Erkrankung kennt! Erwähnungen von MS gehen bis ins Mittelalter zurück, in denen erstmals MS-Symptome bei der Nonne Lydwina von Schiedam beschrieben werden. Inzwischen kann man im Allgemeinen die MS-Symptomatik der Zerstörung von Nervenzellen zuschreiben und führt dies als Folge einer Autoimmunreaktion zurück. Die Ursache dieser angeblichen Autoimmunreaktion ist bis heute nicht geklärt. Möglicherweise handelt es sich nicht um eine Reaktion, bei der der Körper sich selbst zerstören will, was das Wort “auto-immun” vermuten lässt. Vielleicht ist es vielmehr eine Abwehrreaktion des Körpers auf etwas uns bisher Unbekanntem, mit dem der Körper nicht gut zurechtkommt und eben als Nebeneffekt zu dieser MS-Erkrankung führt. Aus meiner Perspektive als naturwissenschaftlicher Forscher sollte auch diese Sichtweise bei zukünftigen Forschungsprojekten betrachtet werden; besonders weil die bisherigen Erklärungsversuche hinken!
Ich zeige ihr den Arztbrief von meinem Notfallklinik-Aufenthalt und mir wird erklärt, dass ich eine bekannte Reaktion auf das Medikament hatte. Und dass es sich dabei nicht um einen Fehler meinerseits beim Injizieren des Medikaments handeln würde, der allgemein als „Flush“ bekannt ist. Denn so ein Flush hätte sofort nach der Injektion auftreten müssen und wäre nach spätestens einer halben Stunde wieder vorbei gewesen. Diese Information findet sich sogar in der Packungsbeilage des Medikaments [14] und hätte dem netten Neurologen in der Klinik damals eigentlich auch bekannt sein dürfen.
Die Ärztin erklärt mir auβerdem, dass sie und ihre Kollegen eine so heftige Reaktion auf das Medikament (wie ich sie hatte) schon bei einigen Patienten beobachtet hätten und es wäre im Prinzip nur eine Frage der Zeit, wann solche Abwehrreaktionen auftreten würde. Sehr beruhigend, dass der Fehler nicht an mir lag. Sehr beunruhigend, dass ich nur eine von vielen bin, die eine so unschöne Nebenwirkung des Medikaments verspüren mussten.
Laut dem Arztbrief von meinem Notfall-Klinikaufenthalt solle weiterhin mein Kaliumspiegel geprüft werden, da mein Blutdruck ja etwas aus dem Rhythmus geraten war. Nun wird mir erklärt, dass der Kaliumspiegel keinerlei Aussagefähigkeit hätte und er daher nicht überprüft werden müsse. Ich bin mir sicher, dass man mich als dummen Patienten abgetan hätte, wenn ich das Monitoring des Kaliumspiegels selbst angesprochen hätte. Aber nun stand es ja im Arztbrief und ich hatte mal wieder nicht das Gefühl, dass alle Ärzte wissen, was sie tun.
Mir wird nun nahegelegt, nicht weiter in der MS-Basistherapie zu bleiben, sondern eine Stufe höher zu steigen und mich nicht mehr immun-modulieren, sondern immun-supprimieren zu lassen. Mir wird ein Medikament genannt, das bisher für die Krebstherapie zugelassen ist und wofür ich bei meiner Krankenkasse eine Genehmigung einholen muss, um das Medikament als off-label-use zu erhalten. Off-Label-Use, weil das Medikament bis dahin nicht für die MS-Therapie zugelassen ist, sondern eben nur zur Krebstherapie. Ich solle also nicht nur für eine kurzzeitige Anwendung, sondern regelmäβig ein Krebsmedikament verabreicht bekommen, dessen Patentschutz als Krebsmedikament vor kurzem abgelaufen war. Meine Krankenkasse hätte es sicherlich befürwortet, denn es kostete nur etwa 1/10 von dem, was sie sonst für MS-Medikamenten hätte zahlen müssen. Ich bekomme wenigstens noch den Hinweis, dass es in früheren Studien bereits Todesfälle gab – woran genau die Probanden verstorben wären und ob es im Zusammenhang mit diesem Medikament stehe, wüsste sie nicht. Mir wird ein Arztbrief in die Hand gedrückt, den ich an meine Krankenkasse schicken soll. Er besagt, dass ich unbedingt dieses Medikament im off-label-use bräuchte. Und obwohl eine gewisse Dringlichkeit suggeriert wurde, hat dieser Brief bis heute seinen Weg nicht zu meiner Krankenkasse gefunden.
Da unter anderem der Patentschutz des Medikaments für die Krebstherapie abgelaufen war [15], wurde der Wirkstoff etwa zwei Jahre nach diesem Arztgespräch offiziell für MS-Therapie zugelassen – aber eben zum elffachen des Krebsmedikament-Preises. Damit hat das neue MS-Medikament also den jahrelangen Schutz (in der Regel 20 Jahre), von anderen Pharmafirmen nicht kopiert (Generika) und (billiger) verkauft werden zu dürfen.[16]
Später habe ich von einer neuen Kollegin erfahren, dass sie auch seit einigen Jahren MS hat. Sie hatte sich jahrelang Interferone gespritzt und wollte aufgrund der Nebenwirkungen auf ein anderes Medikament wechseln. Sie hat sich zusammen mit ihrem Neurologen für eben dieses neuerdings für MS-Therapie zugelassene Präparat entschieden, dessen Wirkstoff seit einiger Zeit in der Krebstherapie eingesetzt wird. Dieses Medikament wird im Abstand von mehreren Monaten intravenös in Klinikambulanzen verabreicht. Dies erfolgt über mehrere Stunden hinweg und bedarf vorher der Gabe von Cortisol-Derivat sowie Antihistaminika, um die Abwehrreaktion des Körpers gegen das MS-Medikament zu reduzieren. Bei einem dieser Termine wird ihr nach der ersten Infusion –also der Infusion des Cortisols-Derivats– vom Klinikpersonal der Blutdruck gemessen und als erhöht festgestellt. Ihr wird nahegelegt, zukünftig mit Betablockern den Blutdruck zu senken und sie ist verunsichert. Dies mag ein Einzelfall gewesen sein, den ich dennoch recht bedenklich finde! Denn bereits die Infusion selbst verändert unmittelbar den Blutdruck. Und gerade von Cortisol-Derivaten (Cortisol ist allgemein als Stresshormon bekannt), wäre ohnehin eine blutdruckerhöhende Wirkung zu erwarten! Lassen Sie sich bitte nicht kränker machen als Sie sind! Es ist immer empfehlenswert, sich Bedenkzeit einzuräumen, Symptome im Kontext und eben auch mit Freunden, Bekannten oder anderen Ärzten zu besprechen! Meine Kollegin hat generell keinen erhöhten Bluthochdruck! Sie braucht keine Betablocker!
Selbst wenn man nun keine Gewinnabsichten von Pharmaunternehmen an langfristigem Patientenkollektiv (da chronisch- aber nicht sterbenskrank und somit längerfristig vorhanden und abhängig) unterstellen mag, bleibt ein Krebsmedikament ein Krebsmedikament und ist bekanntermaβen immunsupprimierend. Daher bringt es schon von Haus aus gravierende Nebenwirkungen mit sich, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden muss. Dies führt im Allgemeinen nicht unbedingt zur Motivationssteigerung, sich einem solchen Medikament auszusetzen.
Kürzlich erst hatte ich mir eine Zulassungsstudie (Phase II) eines MS-Medikaments angesehen. In dieser wurden zwei Dosierungen eines Medikaments getestet. Es wurden in dieser Studie ausserdem Daten von Probanden erhoben, die mit Placebo oder mit einem Interferon behandelt wurden. Das hierbei verwendete Interferon war bereits vorher zugelassen worden. Es hatte demzufolge also bereits Zulassungsstudien durchlaufen, die darin einen gewissen Benefit auf Krankheitsgeschehen demonstrierten.[17],[18] Interessanterweise zeigen die Daten sämtlicher Kriterien (die in der Zulassungsstudie (Phase II) des anderen Medikaments erhoben wurden) keinerlei Benefit des Interferons gegenüber der Placebogruppe![19] Also das sollten Sie bitte mal auf sich wirken lassen: Zuerst wird diesem Interferon in seiner eigenen Zulassungsstudie eine Wirksamkeit nachgewiesen. In der Zulassungsstudie eines anderen Medikaments, konnte aber keine Wirksamkeit dieses Interferons nachgewiesen werden. Da scheinen sich die getesteten Kriterien sowie die Studiendauer und die statistischen Tests zu unterscheiden. Und schon kommt man auf unterschiedliche Ergebnisse für die (Un-)Wirksamkeit ein und desselben Medikaments.
Was die Wirksamkeit der Medikamente im Allgemeinen betrifft, so werden sie auch nach der behördlichen Zulassung zum Teil immer mal wieder von Forschungseinrichtungen wie Universitätskliniken getestet. Die Ergebnisse werden gewöhnlich in wissenschaftlichen Journalen veröffentlicht, auf die man (meist kostenpflichtig) zugreifen kann. In der medizinischen Forschung gibt es immer wieder Veröffentlichungen, die an kleinen Probandenzahlen durchgeführt wurden – unter anderem weil solche Veröffentlichungen mit einer Promotion (also dem Erhalten des Doktortitels des Arztes verknüpft sind).
Der Outcome verschiedener Veröffentlichungen zu einem Thema wird zum Teil in Review-Artikeln zusammengefasst. Hierbei werden zum Teil Widersprüchlichkeiten oder unzureichendes Studiendesign einzelner Veröffentlichungen festgestellt. Es wird ausserdem eine Gesamtaussage der hierfür verwendeten einzelnen Literaturstellen getroffen, so dass man besser abschätzen kann, ob die Wirksamkeit des Medikaments vorhanden ist oder nicht – eben aufgrund der mehr oder weniger ausgeprägten Bestätigung verschiedenster Autoren.
Solche Review-Artikel kann man z.B. über die Cochrane Library (teilweise kostenlos) abrufen und lesen.[20] Wenn Sie sich also tiefgehender mit der Wirksamkeit ihrer Therapie auseinandersetzen wollen, dann nutzen Sie diese Möglichkeit! Auch diese wissenschaftlichen Review-Artikel werden von verschiedenen Seiten geprüft, bevor sie veröffentlicht werden. Wenn Ihnen diese wissenschaftlichen Artikel (sie sind weitestgehend in Englisch verfasst) zu technisch sein sollten, dann konzentrieren sie sich auf den Abstract- sowie den Results-Teil. Darin werden Ergebnisse zusammengefasst, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Oder wenden Sie sich an jemanden aus Ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis, der Ihnen mit dem Verständnis einer solchen Literatur weiterhelfen kann.
War Ihnen bisher bewusst, dass präklinische Studien, also Tierversuche gar nicht an MS-erkrankten Tieren stattfinden? Wie denn auch? Man weiβ bisher immer noch nicht, was der Auslöser der Krankheit ist, und kann sie deshalb auch nicht gezielt hervorrufen. Es werden daher andere Erkrankungen herangezogen, die aber eben nicht MS sind und daher einen anderen Einfluss des Medikaments auf das Krankheitsgeschehen erwarten lassen.
Wenn es nach den Tierversuchen doch an die klinischen Studien geht, also an die Medikamentenstudien am Menschen, werden keine klaren Parameter wie z.B. Blutwerte zur Auswertung herangezogen, denn die gibt es nach bisherigem Stand der Wissenschaft nicht – obwohl manche Blutparameter dennoch in der wissenschaftlichen Literatur als auffällig bei MS beschrieben wurden.[21],[22] Ich hatte mich kürzlich mit jemandem aus dem Diagnostikbereich darüber unterhalten. Man könnte doch den Fokus mehr auf die Blutdiagnostik legen. Zum einen, um bereits am Blutbild Hinweise auf eine vorliegende MS-Erkrankung zu erhalten und somit möglicherweise die Zeitspanne zwischen ersten Symptomen und Erstdiagnose zu verkürzen. Zum anderen, um die MS-Erkrankung und deren Ursache besser verstehen zu können. Vielleicht wäre es nicht ein einzelner Parameter, sondern mehrere, die zusammen auf ein Vorliegen von MS hinweisen. Es gibt auch andere neurologische Erkrankungen, die offensichtlich mit erhöhten bzw. veränderten Blutwerten in Verbindung stehen, wie z.B. bei Parkinson oder Alzheimer.[23],[24] Eine Verbindung zwischen Nerven und Blut scheint somit durchaus vorhanden – und das vermutlich sogar nachweislich. Doch anstatt den Fokus mehr auf die Mustererkennung verschiedener Blutparameter zu legen, konzentriere man sich im Diagnostikbereich lieber auf das Monitoring der schulmedizinischen Therapien. Da man offensichtlich mit diagnostischen Verfahren der Ursache und den systemischen Zusammenhängen nicht auf den Grund gehen möchte, stellt sich natürlich die Frage nach den Interessen von Diagnostik- und Pharmaindustrie, die unter Umständen miteinander verwoben sein können.
Statt sich also auf klare Parameter zu konzentrieren, orientiert man sich bei der Zulassung von Medikamenten an etwas schwammigen Parametern wie Schubdauer und Schubwahrscheinlichkeit. Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass ich diese Parameter nicht klar definieren konnte. Ich kann nicht genau benennen, wann die Symptome begonnen haben, da sie zunächst unterschwellig vorhanden waren, überdeckt von meiner Trauer und sich im Laufe der Zeit erheblich verstärkten. Auch kann ich nicht benennen, wann mein Schub klar zu Ende war, da die ultrahohen Dosen Cortisol eben auch einige Nebenwirkungen mit sich brachten, wie Kraftlosigkeit und Erschöpfung, so dass eine klare Abgrenzung für mich hierdurch einfach nicht möglich ist. Ich könnte noch nicht einmal genau benennen, ob diese Cortisol-Therapie tatsächlich den Schub beendet hat, da eine Besserung der Symptomatik nicht schlagartig nach Medikamentengabe einsetzte. Auβerdem zeichnet sich eine schubförmige Krankheit ohnehin dadurch aus, dass sie schubförmig verläuft – auch ohne Gabe von Medikamenten. Und da ich bisher bei mir nur einen Fall (also einen behandelten Schub) zu verzeichnen habe, ist es statistisch betrachtet ohnehin schwierig, eine direkte Beziehung in meinem Fall herzustellen. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich der Therapie nicht jegliche Wirksamkeit abspreche. Aber ich möchte Sie sensibilisieren, dass es nicht unbedingt der Fall sein muss! Wenn die Therapie hilft, umso besser! Dann nutzen Sie diesen Vorteil für sich! Aber seien Sie bitte nicht völlig enttäuscht, wenn dem doch nicht so ist. Und vor allem: Lassen Sie sich bitte nicht mitreiβen von diesem Schwarz-Weiss-Denken, das im schulmedizinischen Rahmen leider noch zu häufig anzutreffen ist. Hören Sie besser in sich hinein. Denn Sie treffen die Entscheidungen für sich und Ihren Körper!
Sie können im Laufe der Zeit Entzündungsherde haben, ohne Schubbeschwerden aufzuweisen. Umgekehrt können Sie sich wie in einem Schub fühlen und es werden doch keine neuen Entzündungsherde identifiziert. Eine klare Definition eines Schubes bleibt auch hier weiterhin schwammig.
Zwei Jahre nach meiner Diagnose hatte ich einen Kontrolltermin inklusive MRT-Aufnahmenin der neurologischen Ambulanz einer anderen Klinik, denn ich war inzwischen umgezogen. Zu diesem Gespräch hatte ich meine Unterlagen mitgenommen. Der Assistenzarzt liest sie sich durch und sagt schlieβlich, dass mir das Cortisol-Derivat damals geholfen hätte. Da wird mir klar, dass es offensichtlichso im Medizinstudium gelehrt wird – klassisch schwarz-weiβ! Ein Medikament hilft immer oder es hilft gar nicht! Aber dass die Statistik eher weniger schwarz-weiβ anmutet, das scheint wohl weniger auf dem Lehrplan zu stehen.
Nicht jeder, der eine Glucocorticoid- (also Cortisol-basierte) Therapie bekommt, hat hierdurch einen Benefit und das können Sie auch in wissenschaftlicher Literatur nachlesen.[25]
Gerade solche hohen Konzentrationen können viele Nebenwirkungen nach sich ziehen, wie Schlaflosigkeit, Magen-Darm-Beschwerden, Euphorie bis hin zur Depression, erhöhter Appetit, erhöhte Blutzuckerwerte, Gewichtszunahme, Akne, Herzrhythmusstörungen, Ödeme, Bluthochdruck, sowie den bereits erwähnten Knochen- und Muskelabbau.[26],[27],[28] Man fühlt sich unter anderem eben durch diesen Muskelabbau kraftlos und ist bei kleinen Anstrengungen bereits erschöpft. Man spürt also weiterhin die Fatigue-Symptomatik, die nun nicht mehr alleine der Erkrankung zugeschrieben werden kann. Eben auch die Therapie mit Cortisol-Derivaten führt gerade in so hohen Dosierungen zu einer verstärkten Fatigue-Symptomatik.
Einige Monate nach meiner Diagnose war ich mal wieder zur Kontrolle beim Zahnarzt (bei dem ich seit meiner Kindheit bin). Er meinte, meine Zähne würden komisch aussehen. Sie hätten sich deutlich abgebaut seit meinem letzten Besuch. Dies ist vermutlich der Cortisol-Stoβtherapie zuzuschreiben, die eben massiv Muskel- und Knochensubstanz abbaut.
Verschiedenste chronische Krankheiten werden mit Cortisol behandelt, da es als entzündungshemmend gilt. Gerade wenn es kein krankheitsspezifisches Medikament zur Behandlung gibt (und damit meine ich vor allem Medikamente, die die Ursache bekämpfen), ist dieses Vorgehen zunächst nachvollziehbar – lieber eine Therapie als gar keine! Wenn Sie sich aber mit der Wirksamkeit von Medikamenten bei der MS-Behandlung auseinandersetzen, werden Sie feststellen, dass diese häufig nicht klar vorzufinden ist. Und aus diesem Grund ist meines Erachtens nach bei dieser Erkrankung und seiner Behandlung ein Schubladendenken einfach nicht angebracht.
Hilfreich für mich war definitiv überhaupt eine Diagnose zu bekommen. Zu wissen, dass es wirklich eine organische Ursache gibt, die die Symptome verursacht hat. Des Weiteren war es für mich zunächst gut gewesen, eine Therapie während des akuten Schubs zu erhalten, schon allein weil ich das Gefühl hatte, dass man die Krankheit behandeln kann – ob nun schulmedizinisch und/oder alternativ sei mal dahin gestellt.
So etwas ist aus psychologischer Sicht sehr wichtig und unterstützt schon allein dadurch den Genesungsprozess. Ich möchte im Allgemeinen darauf hinweisen, dass man als Patient häufig mit dem Bild konfrontiert wird, seinen Körper bekämpfen zu müssen, damit er sich nicht weiter zerstört. Aus meiner Sicht heraus ist dies nicht der beste Ansatz, denn es wird wieder mit der Angst gespielt. Sinnvoller wäre es doch, eine Therapie – ob schulmedizinisch oder alternativ – als Unterstützung zu begreifen, die einem helfen soll, den Körper in die richtigen Bahnen zu lenken. Der Körper hat -meines Empfindens nach- nicht die Absicht, sich selbst zu zerstören und das wäre evolutionär betrachtet auch etwas gegen die Natur. Es deutet vielmehr daraufhin, dass der Körper daran arbeitet, Probleme zu beseitigen (was ja schon das Vorhandensein von Antikörpern aufzeigt), dabei aber übers Ziel hinausschieβt. Bereits vor einigen Jahren wurde ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von MS-Erkrankungen und dem Epstein-Barr Virus hergestellt, denn MS-Erkrankte sind zu nahezu 100% mit diesem Virus infiziert. Dies wurde unter anderem in Studien mit ca. 1000 MS-Erkrankten demonstriert.[29] Es scheint also durchaus Faktoren zu geben, die u.a. aufgrund von Infektionen/Virus-Erkrankung(en) bei MS-Erkrankten generell vorhanden sind und auf das Bekämpfen von Krankheitserregern hinweisen – und weniger auf eine Selbstzerstörung aus Böswilligkeit oder Langeweile. Dieser Virus ist vermutlich nur eines von mehreren Puzzle-Teilen, auf das der Körper bei MS-Erkrankten reagiert. Möglicherweise sogar anders reagiert als bei Menschen, die nicht an MS erkrankt sind. Denn weltweit sind etwa 90% der Menschen mit diesem Virus infiziert, aber nicht jeder Infizierte hat MS.[30] Ob die Viruserkrankung und andere Faktoren zusammen letztendlich die MS-Erkrankung auslösen, müsste in der Zukunft noch genauer untersucht werden.