Was ist seit damals passiert?

In der Zwischenzeit habe ich zudem die Diagnose Endometriose erhalten. Wenn ich meinem Frauenarzt von MS erzähle oder meinem Neurologen von der Endometriose, sehen sie keinen Zusammenhang. Wenn man einen Blick in die wissenschaftliche Literatur wirft, scheint es durchaus Hinweise darauf zu geben.[31],[32] Bei beiden Erkrankungen sind die Ursachen nicht bekannt. Beide Erkrankungen sind chronisch und äuβern sich in Entzündungs­prozessen. Bisher wurde im Allgemeinen Endometriose so erklärt, dass aus der Gebärmutter die Gebärmutterschleimhaut in den Bauchraum wandert und sich dort (mit teilweise schmerzhaften bzw. funktionalen Folgen an andere Organe heftet). In neuester wissenschaftlicher Literatur wird hingegen beschrieben, dass die Endometriose vom Knochenmark induziert wird.[33] Das Knochenmark hat generell die Aufgabe, fast alle Blutzellarten zu bilden, was uns nun wieder zurück zur MS bringt, bei der verschiedene Blutgerinnungs­faktoren erhöht sind. Einen Zusammenhang zwischen MS und Endometriose würde ich daher sicherlich nicht ausschlieβen!

Ob die eine Erkrankung die andere begünstigt oder umgekehrt – oder ob eine gemeinsame Ursache beide Erkrankungen auslöst – ist bisher nicht geklärt, eben da die Ursachen nicht bekannt sind. Würde aber aufgrund des gerade genannten Zusammenhangs mit dem Knochenmark auf eine gemeinsame Ursache schlieβen. Beide Erkrankungen habe ich schon länger als die Diagnosestellungen. Ich könnte jetzt auch nicht sagen, an welcher ich früher erkrankt bin oder ob sie sich gleichzeitig manifestierten. Nur weil MS früher diagnostiziert wurde, könnte ich trotzdem schon länger an Endometriose erkrankt sein. Beschwerden habe ich seit vielen Jahren. Allerdings wird die definitive Diagnose erst gestellt, wenn Biopsien (die während einer Operation entnommen werden) genauer untersucht werden – was bei mir eben erst kürzlich der Fall war. Generell scheint eine chronische Erkrankung nicht alleine aufzutreten. Oft leidet man an mehreren.[34] Bei mir ist es neben der MS die Endometriose. Bei Ihnen vielleicht etwas anderes oder auch im besten Falle nichts.

Seit dieser heftigen Reaktion auf das zweite Medikament, das mich in die Klinik brachte, habe ich bis heute kein MS-Medikament mehr genommen. Dies ist nun schon 7 Jahre her. Es hatte sich für mich einfach nicht richtig angefühlt. Ich hatte zwei Medikamente versucht und bin (ich kann es nicht anders ausdrücken) zweimal auf die Schnauze geflogen. Ich gehe weiterhin zu regelmäβigen Kontrollen. Einmal jährlich testet mein Neurologe mein Reaktionsvermögen, meinen Gleichgewichtssinn, meine Reflexe und mein Sehvermögen. Es wurde in der Zwischenzeit sogar noch zweimal MRTs von Hirn und Rückenmark erstellt und auch diese zeigten keine Verschlechterung. Natürlich weiβ ich, dass sich dies in Zukunft ändern kann. Und vielleicht komme ich irgendwann wieder an den Punkt, an dem ich offen für eine schulmedizinische Behandlung bin, das möchte ich heute nicht gänzlich ausschlieβen. Vielleicht erlebe ich noch, dass man die Ursache für MS findet und daher ein passgenaues Medikament designed wird, das nach Möglichkeit wenig bis gar keine Nebenwirkungen mit sich bringt – auch wenn es für mich momentan utopisch klingt.

Ich möchte an dieser Stelle auch betonen, dass ich inzwischen einen Neurologen gefunden habe, der mir nicht auf Biegen und Brechen Medikamente aufschwatzen möchte. Ich empfinde das als sehr angenehm und erzähle ihm bei meinen jährlichen Besuchen auch, was sich in den vergangenen Monaten bei mir getan hat, wie es mit der Arbeit läuft, ob es irgendwelche Krisen gab, welche (alternativen) Mittel oder Methoden mir im Alltag helfen, etc. Er bekommt von mir als Patient Feedback, das er möglicherweise auch an andere MS-Erkrankte weitergeben kann und ich bekomme Unterstützung und Neuigkeiten bezüglich schulmedizinischer Massenahmen, wenn ich sie brauche. Wenn etwas ist, soll ich mich sofort bei ihm melden und wir finden einen Weg! Bisher habe ich das nicht gebraucht, finde aber einen solchen Umgang zwischen Patient und Arzt sehr angenehm. Der Neurologe sieht auch, dass man ohne schulmedizinische Therapie jahrelang gut und ohne Krankheits­ver­schlechterung auskommen kann. Diesen Punkt finde ich insofern erwähnenswert, da die meisten MS-Erkrankten, die einen Schulmediziner aufsuchen eben auch eine schulmedizinische Therapie erhalten. Diejenigen, die sich von der Schulmedizin abgewendet haben, werden selten den Weg zum Arzt auf sich nehmen und dieses Schwarz-Weiβ-Denken wird weiterhin ein solches bleiben.

Ich empfand davor die meisten Neurologen-Besuche – ob in klinischen Ambulanzen oder Arztpraxen – nicht unbedingt positive und hilfreich für mich. Sie haben mich neben langen Wartezeiten einiges an Energie gekostet, besonders weil ich immer wieder auf Schubladendenken gestoβen bin. Ein Arzt verfügt über das Wissen, das er seinem Studium und den Lehrbüchern entnehmen kann oder das er auf Konferenzen erfährt. Aus meiner Sicht ist dies bei den meisten Erkrankungen auch legitim. Bei Erkrankungen, von denen mir bisher aber kein Arzt erklären kann, was in meinem Körper falsch läuft, was die Krankheitsursache ist und er sich einzig auf die mehr oder weniger sinnvollen Studien­ergebnisse von Pharmakonzernen verlässt, ist ein solche Verhalten möglicherweise weniger angebracht. Denn hierbei ist die Faktenlage doch etwas eingeschränkt und verschiebt daher womöglich die Sichtweise ein wenig. Nicht jeder Arzt ist gleich! Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass man Arztbesuche auf ein Minimum reduziert; möchte aber auch betonen, dass es durchaus Ärzte gibt, bei denen Sie sich gut aufgehoben fühlen können – auch wenn ich nur wenige solcher kennenlernen durfte.

Was ist seit damals in meinem Leben passiert? Ich habe in der Naturwissenschaft promoviert und bin ausgewandert. Habe ein paar Jahre gearbeitet und die Pandemie als Chance genutzt, aus Interesse in einem ganz anderen Bereich erfolgreich zu studieren. Ich treffe nach wie vor regelmäβig Freunde und Familie, habe geheiratet und höre besser in mich hinein. Kinder habe ich keine, was aber nicht primär der MS-Erkrankung, sondern anderen Umständen zuzuschreiben ist. Ich habe mein Leben etwas umgestellt, mache nicht unbedingt das, was man „normalerweise erwarten würde”, wie z.B. Karriere, weil es aus meiner Sicht für mein Leben keine groβe Bedeutung hat. Sondern ich tue möglichst das, wonach mir ist bzw. das, was mir am sinnvollsten und wenigstens energieraubend erscheint. Denn ich weiβ ja nicht, wie lange ich es machen kann. Ich tue es nicht mit der Angst im Hinterkopf, sondern konzentriere mich eher darauf, im Hier und Jetzt zu leben. Das heiβt nicht, dass man keine Karriere als MS-Erkrankter machen kann. Es gibt durchaus einige auch prominente Vertreter, die Sie gerne als Vorbilder ansehen dürfen.[35],[36] Wenn Ihnen Karriere als wichtig erscheint, dann beschreiten Sie diesen Weg! Wenn es etwas anderes ist, dann gehen oder rollen Sie am besten diesen anderen Weg! Auch hier wieder der Hinweis: Machen Sie sich klar, was Ihnen im Leben wichtig ist und tun Sie es, soweit es Ihnen möglich ist!

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